Ethische Probleme bei der künstlichen Ernährung älterer Menschen - "Ageism" bedingt Vorurteile gegenüber Älteren und Alterungsprozess

Berlin, Dezember 2007 - Ethische Prinzipien in der Versorgung älterer Menschen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von ethischen Prinzipien in der Versorgung jüngerer Menschen. Es gibt jedoch unterschiedliche Bilder von Alter und Jugend in unserer Gesellschaft, die mit unterschiedlichen Assoziationen verbunden werden. Alter ist in unserer Vorstellung überwiegend mit negativen Attributen behaftet. So gehören Bilder von gebrechlichen, inkontinenten, dementen und einsamen Menschen zu unserem üblichen Altersbild. Ebenso sind Sinnlosigkeit des Lebens und Nähe von Tod und Sterben häufig mit dem Begriff Alter verbunden. "Solche Bilder haben Einfluss auf den Umgang mit älteren Menschen. Im Englischen wird es als "Ageism" bezeichnet und beinhaltet die Vorurteile, die dadurch auf ältere Menschen projiziert werden. Verbindet man diese Vorurteile mit seinem eigenen Bild von Alter, so können leicht ethische Konflikte bei der medizinischen Versorgung und künstlicher Ernährung Älterer vorprogrammiert sein," sagte Dr. Rainer Wirth, Chefarzt Abteilung für Geriatrie am St.-Marien-Hospital Borken und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, anlässlich der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) "Künstliche Ernährung und Ethik" Ende November auf Schloss Machern bei Leipzig. Ageism bedeute zum Beispiel, dass aufgrund von Diskriminierung ältere Menschen mit ihren Wünschen nicht mehr ernst genommen werden oder die Kommunikation mit ihnen aufgegeben wird. Daraus können sich dann Handlungsweisen, wie Menschen zum Essen zu zwingen oder Gleichgültigkeit in Bezug auf die Ernährung, ergeben. Dies spiegele sich auch im häufigen Gebrauch des Begriffs "Nahrungsverweigerung" bei älteren Menschen wieder, der weder bei jüngeren noch bei älteren Patienten mit Mangelernährung den Kern der Ursachen trifft.

Wenn ältere Menschen mangelernährt sind, nicht mehr genügend essen und an Gewicht abnehmen würden, so sei es notwendig, in einem ausführlichen Gespräch und einer gezielten Diagnostik zu klären, welche wirklichen Ursachen vorliegen. Bei der Frage nach einer künstlichen Ernährung sollte, eine medizinische Indikation vorausgesetzt, der tatsächliche Wille des Patienten im Mittelpunkt stehen. In Deutschland sind rund 60 Prozent der betagten Krankenhaus-Patienten mangelernährt und sterben dadurch früher, haben mehr Komplikationen bei Erkrankungen oder müssen länger im Krankenhaus bleiben. "Trotzdem wird der Mangelernährung gerade bei älteren Menschen immer noch zu wenig Bedeutung zugemessen," sagte Dr. Rainer Wirth. Er plädiert dafür, künstliche Ernährung im Zweifelsfall zum Beispiel als Therapie auf Probe und nicht als Dauertherapie anzubieten. Dadurch könne mit einem festgelegten Therapieziel in einem bestimmten Zeitabschnitt, Nutzen und der Erfolg einer solchen Therapie geklärt werden. Ist dieser Erfolg nicht gegeben, so könne die Therapie auch im Sinne des Patienten wieder abgesetzt werden.

Alte Menschen selbst haben einer Studie zufolge eine durchaus positive Wahrnehmung ihres Gesundheitszustandes und ihrer Lebensqualität als zum Beispiel die eigenen Angehörigen. Sie sehen die eigene Situation insgesamt meist positiver als die eigenen Angehörigen. So wurden mehr als vierhundert über 80-Jährige Krankenhauspatienten befragt, wie sie ihre Lebensqualität beurteilen würden. Mehr als 30 Prozent gaben an, ihre Lebensqualität sei exzellent oder sehr gut. Über 40 Prozent sagten, sie seien nicht gewillt, auch nur einen Tag Lebenserwartung für eine bessere Lebensqualität zu opfern. Knapp 30 Prozent waren bereit maximal einen Monat ihrer Lebenserwartung für exzellente Gesundheit zu opfern. "Es ist deshalb wichtig, dass Angehörige ihre eigenen Vorstellungen nicht auf den Patienten projizieren," sagte Dr. Rainer Wirth. Auch der Einsatz einer lebenserhaltenden Therapie müsse jeweils individuell hinterfragt werden. Hierbei sei es wichtig, den tatsächlichen Willen des Patienten wahrzunehmen. Realistische Therapieziele sollten zu Beginn der Behandlung definiert werden, und es ist sicherzustellen, dass tatsächlich alle behandelbaren Ursachen erkannt worden seien.

Ansprechpartner
St.-Marien Hospital Borken
Dr. Rainer Wirth
Abteilung für Geriatrie
rainer.wirth [at] hospital-borken.de