Mehr als zwei Millionen Behandlungsfälle auf Intensivstationen
Individuelle Ernährungstherapie kann Prognose verbessern

Berlin, November 2018 – Bei Störungen lebenswichtiger Körperfunktionen müssen Patienten auf einer Intensivstation überwacht und behandelt werden. Laut dem Statistischen Bundesamt gab es im Jahr 2017 in deutschen Krankenhäusern mehr als 2,13 Millionen intensivmedizinische Behandlungsfälle, wobei meistens eine akute Infektion den Organfunktionsstörungen zugrunde lag (1). Da sich unter diesen Bedingungen der Ernährungszustand der meisten Patienten und so auch ihre Prognose verschlechtert, kommt der Ernährung im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung eine zentrale Rolle zu. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM) gibt Ärzten in ihrer aktualisierten Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“ Empfehlungen zur Ernährungstherapie kritisch kranker Patienten.

Patienten auf der Intensivstation leiden in der Regel an Störungen lebenswichtiger Körperfunktionen und benötigen eine Organ-unterstützende Therapie. „Diese Stresssituation belastet den Stoffwechsel der Patienten und führt zu komplexen metabolischen Veränderungen, wie zum Beispiel einer vermehrten Verbrennung von körpereigenen Energieträgern und einer Abnahme der Muskelmasse“, sagt Privatdozent Dr. Gunnar Elke, Leiter der Arbeitsgruppe. In der Regel sind schwer erkrankte Patienten auch nicht mehr in der Lage, auf natürlichem Weg mittels oraler Kost ausreichend Kalorien zu sich zu nehmen. „Bei schwerkranken Intensivpatienten kann es zudem zu einem intestinalen Versagen, also einem Darmversagen, kommen“, ergänzt der Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) am Campus Kiel. Die Ernährung von Intensivpatienten ist deshalb eine große Herausforderung.

Mehr als jeder vierte Patient, der in eine Klinik eingewiesen wird, zeigt Zeichen einer Mangelernährung. Bei schwer erkrankten Patienten, die häufig auf einer Intensivstation aufgenommen werden müssen, kann der Anteil sogar noch höher sein (2). „Ein chronischer Energie- und Nährstoffmangel kann Heilungsprozesse negativ beeinflussen und die Prognose der Patienten weiter verschlechtern“, erklärt PD Dr. Gunnar Elke. Mangelernährung ist mit einer erhöhten Komplikationsrate sowie mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden“, erläutert der Experte. Um die Folgen einer bereits vorbestehenden Mangelernährung beziehungsweise das Risiko für eine neu auftretende Mangelernährung während des Krankheitsverlaufs zu minimieren, bedarf es einer klinischen („künstlichen“) Ernährung, die dem beeinträchtigten Stoffwechsel und den unterschiedlichen Phasen der kritischen Erkrankung angepasst ist. „Der Gesundheitszustand kann sich von einem Tag auf den anderen ändern.“ Deshalb müssen ernährungsmedizinische Maßnahmen regelmäßig kontrolliert und protokollbasiert entsprechend angepasst werden. Nur so kann aus ernährungsmedizinischer Sicht die Prognose der Patienten auf der Intensivstation verbessert werden.

Bei Patienten, bei denen keine bedarfsdeckende orale Ernährung innerhalb der Akutphase der kritischen Erkrankung absehbar ist, sollte eine klinische Ernährungstherapie innerhalb von etwa 24 Stunden nach Aufnahme auf die Intensivstation begonnen werden. Die klinische Ernährung kann dabei in Abhängigkeit von der Verdauungsfunktion entweder enteral (mithilfe einer im Magen oder Dünndarm platzierten Sonde) oder parenteral (mithilfe eines in eine große Vene eingelegten Katheters) erfolgen. Dabei muss die Kalorien- und Nährstoffzufuhr so gewählt werden, dass in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium weder zu viel noch zu wenig zugeführt wird. „Speziell im Rahmen der Erholungsphase und Rehabilitation der kritischen Erkrankung ist auf eine ausreichende Eiweißzufuhr zu achten“, ergänzt Professor Dr. med. Stephan C. Bischoff, Leitlinienbeauftragter der DGEM.

Die Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“ der DGEM wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sowie den Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) und Deutsche Sepsis-Gesellschaft (DSG) kürzlich aktualisiert und in der Fachzeitschrift Aktuelle Ernährungsmedizin publiziert (3). Die konsensbasierte Leitlinie gibt Ärzten Empfehlungen zur enteralen und parenteralen Ernährungstherapie kritisch kranker Patienten. Die Leitlinie geht dabei vor allem auf den Zeitpunkt des Ernährungsbeginns ein sowie auf die Wahl des Applikationswegs, die Menge und Zusammensetzung der Makro- und Mikronährstoffzufuhr sowie die Wahl spezieller Nährsubstrate, die das Immunsystem beeinflussen. Je nach Zustand und Krankheitsverlauf des Patienten variieren diese stark. Auch das Präsidium und der Präsident der DGEM, Privatdozent Dr. Frank Jochum, freut sich über die Veröffentlichung der Leitlinie: „Es war ein langer Weg dahin. Unser besonderer Dank gilt der Arbeitsgruppe und ihrem Leiter Dr. Elke“, erklärt Jochum abschließend.

Quellen:
(1)     Statistisches Bundesamt (2018): Krankenhausstatistik – Grunddaten der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen.
(2)     Norman K, Pichard C, Lochs H, Pirlich M. Prognostic impact of disease-related malnutrition. Clin Nutr. 2008 Feb;27(1):5-15.
(3)     Elke G et al. S2k-Leitlinie Klinische Ernährung in der Intensivmedizin. Aktuel Ernahrungsmed 2018; 43: 341–408. https://www.dgem.de/sites/default/files/PDFs/Leitlinien/518ll_10-1055-a-...